Liebe finden: Digital oder Analog?

Verfasst von: Marc Mühleis
Liebe finden: Bar oder Portal?
Liebe finden: Bar oder Portal?  Bild: Bildrechte: Patrick Moeller
Früher als Single, sagen wir so vor 20 oder 25 Jahren, da gingen wir noch in eine Bar, einen Club, auf eine Party, zu einer Vernissage, oder zu einem Abend bei Freunden... und ließen uns überraschen, ob denn an diesem Abend, der oder die richtige auf uns treffen würde. Und es waren oft bei leibe keine erfolgreichen Abende. Mehr als einmal waren wir schlicht zu gehemmt zum Ansprechen.

Oder, er oder sie, wenn sie denn wenigstens äußerlich durch Darwins Raster hätten fallen können, waren erst gar nicht da. Dafür lernte man an so einem Abend vielleicht den Kumpel fürs Leben kennen, der einem half, die künftigen Niederlagen oder Enttäuschungen besser zu verkraften. Man schaute sich in die Augen, sagte: " Hey, lass uns einen heben. So jung kommen wir beide auch nicht mehr zusammen." Dann gab es Abende, da schaute unsereiner auf die Tanzfläche oder in die Runde der anwesenden Gäste und irgendwie war klar: " Hey, da geht was heute." Es gab schließlich eine Menge an sympathischen Gesichtern und man spürte irgendwie: "This could be the night."

Ja, ja... die Liebe! (Bild: Marc B. Rey)

Und auch wenn einen am nächsten Morgen nicht die Big Love mit der vergangenen Nacht anhauchte, so waren das doch Abende und Nächte, die man wenigstens analog spüren und erfahren durfte. Und heute? Ja, heute ist alles ein Paradies dagegen. Es gibt eine solche Menge an Liebes-Portalen, wo man Gleichgesinnte und andere Selbstoptimierer finden, dass einem ganz schwindelig werden kann. Man muss bloß ein perfektes Selfibild von sich downloaden, mit etwas Photoshop und ein, zwei Picture Apps und einer Selfiestange kein wirkliches Problem, dann noch etwas am Alter herumbasteln, am Job und den spannenden Interessen, auf das obligatorische Oberkörperfrei oder super enges T-Shirt mit Mörderausschnitt verzichten oder auch nicht, und schwupp flattern mit Sicherheit unzählige Anfragen, Matches oder sonstige Versprechen ins eigene Postfach.

Love is a burden... sometimes (Bild: Marc B. Rey)

Die Frage ist nicht, ob blond oder braun, ob 75 B oder D, ob Studentin, Modestylistin, Bankerin oder Bloggerin, ob Zahnarzt, Mechatroniker, Anwalt oder Versicherungshengst... Die Frage ist, wem schreibe ich und vor allem was? Das Dumme ist, Frauen erwarten ein Minimum an spannenden, witzigen oder zumindest ungewöhnlichen Texten... doch Männer können meist nicht liefern. Verwechseln gelegentlich in welchem Portal sie gerade unterwegs sind. Da kann es schon mal passieren, dass das gerade besuchte Fetisch- und oder Seitensprungportal mit dem auf dauerhafte Beziehungen angelegten digitalen Türchen verwechselt wird. Was dann besonders Frauen nervt und an der Spezies Mann zweifeln lässt... Nach dem Motto, gibt es hier eigentlich nur Schimpansen, die alles vögeln wollen, was nicht bei 3 Offline war. Und das ist nur das eine Problem.

Love: it's complicated sometimes (Bild: Marc B. Rey)

Doch wenn der gestresste Single gefühlt das 234. Mal etwas Witziges, Einmaliges, besonders Cooles schreiben soll, dann hat er irgendwann so was von die Nase voll, dass er doch tatsächlich Serienbrieftexte auswählt, weil das schlicht einfacher zu behalten ist. Woher soll der verzweifelte Single schließlich auch wissen, ob er vor 3 Mails noch Anwalt, Arzt oder Unternehmer war, oder doch vielleicht Studentin, Erzieherin oder Anästhesistin. Und dann gibt es ja noch ein ganz besonderes Problem... Nach gefühlt weiteren 235 Mails, endlich das erste, kaum noch für möglich gehaltene Livetreffen in einem Café oder einer Bar: Wie? Der Typ da drüben, das soll Joe 567 sein? Soll 36, 1,85m und Start-up Owner sein? Eher 46, 1,77m, Koksnase und verpulvert die Reste seines Familienerbes. Oder was ist mit der da , die gerade auf mich zustürmt? Halleluja.

Das soll Selina Hot 89 sein? 1,74m, 52 Kg und lange blonde Haare? Wohl eher Selina Not, 72 Kg, 162-164 und die Haare gerade auf Kinnlänge gekürzt. Da geh ich doch besser analog in die Bar, bestell mir analog ein paar Drinks, sauf mir die Welt und Umgebung schön, analog versteht sich, ruf danach digital eine alte Ex an, und find das Leben wunderbar. Muss mir schließlich nicht die Finger vor dem Dispaly wundschreiben. Und ich bin mir sicher, hier in meiner Bar treffe ich schneller auf eine verwandte Seele als in diesem nervtötenden Optimierungswahnnetz... Cheers!

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Artikelsignatur: Marcus Mühleis | Autoren-Ressort: Mrey.reporters.de
10405 Berlin
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