Eine goldene Himbeere für die Meerfrau

Verfasst von: Dipl. Päd. u. Theaterpädagogin Selena Plaßmann
Heckmann-Höfe Ambiente
Heckmann-Höfe Ambiente  Bild: Selena Plaßmann
Das Kunstmärchen „Die kleine Seejungfrau“ des dänischen Dichters Hans Christian Andersen zählt zu den berühmtesten der Literaturgeschichte. Inspiriert wurde es von der romantischen Zauberoper „Undine“über eine Meerfrau, die der Meeresgott schon als Kind zu den Menschen gebracht hat. Während des Open Air-Theaterfestivals erscheinen vor der traumhaften Kulisse des im Renaissance-Stil errichteten Jagdschlosses Grunewald Meeresbewohner am Seeufer. Auf der Stehgreifbühne des Galli-Theaters singen sie ihre Geschichte über die kleine Seejungfrau.

Zu einem Zeitpunkt, als wahre Liebe durch Entfremdung und Verdinglichung menschlicher Beziehungen bedroht war, schrieb der Komponist Lortzing die Zauberoper „Undine“. Getarnt als Weinhändler bringt Kühleborn, der Fürst des Wasserreiches, Undine zu den Menschen, damit sie durch den Treuebund mit einem Menschen eine unsterbliche Seele erhält. Ritter Hugo von Ringstetten verliebt sich unsterblich in die liebliche Pflegetochter von Fischern, unwissend darüber, dass sie aus dem Reich der Nixen stammt. Nach der Offenbarung ihrer Herkunft schwört er ihr ewige Treue. Seine Integrität wird humorvoll auf die Probe gestellt. In dieser ritterlichen Romanze versinkt das Ehepaar, als die Turmuhr 12 schlägt, im Meer und erwacht in Kühleborns Kristallpalast

Galli-Theater Meerjungfrau (Bild: Selena Plaßmann)

In dem Märchen „Die kleine Meerjungfrau“ geht es ebenfalls um den Wunsch nach einer unsterblichen Seele und das Ideal der romantischen Liebe. Der verwitwete Meeresgott gestattet seinen sechs Töchtern erst ab ihrem fünfzehnten Geburtstag, aus dem Meer emporzutauchen und die Erde zu betrachten, die sie nur aus den Erzählungen ihrer adligen Großmutter kennen. Die jüngste der Schwestern ist trotz des bunten Lebens unter dem Meer, des Schlosses mit seinen“Hofbällen, wie man sie nie auf Erden erblicken würde“(Andersen) nicht von ihrer Vision, unter den Menschen zu wandeln, abzubringen. Warnungen, dass Meeresbewohner an Land mit Vorliebe auf dem Grill landen, schlägt sie in den Wind. In einem faustischen Pakt mit der Meereshexe bietet sie ihre herrliche Stimme als Bezahlung für ihre menschliche Gestalt.

Freunde der anderen Art (Bild: Selena Plaßmann)

Für den Romanautor Andersen war das Schreiben von Märchen eigentlich nur eine Nebentätigkeit.1838 schrieb er in einem Brief an seinen Freund, dass er „diese Jongleurkünste mit den Goldäpfeln der Phantasie nun überhabe“. Es vergingen Jahre, bis er davon überzeugt war, dass seine Märchen als Meisterwerke in die Literatur eingehen würden. Während einer Reise nach Berlin wurde er von König Friedrich Wilhelm IV. zum Diner ins Stadtschloss eingeladen. Ein Gesprächsthema war sein Roman „Nur ein Geiger“. 1846 wurde dem „Märchenfürsten“ durch einen Boten die Nachricht überbracht, dass er vom Preußenkönig. zum Ritter des roten Adlerordens ernannt wurde. Sein Märchen über die kleine Meerjungfrau gehört zu den Perlen der Weltliteratur. In Kopenhagen verweilt an der Hafeneinfahrt Langelinie das Wahrzeichen der Hauptstadt, die 1913 von dem Bildhauer Edvard Eriksen gestaltete Bronzeskulptur der Nixe.

Phantastische Unterwasserwelt (Bild: Emil (10Jahre) Selena Plaßmann)

Andersen schrieb das Märchen im viktorianischen Zeitalter. Damals entsprachen Ehebrecherinnen, Homosexuelle und Individualisten nicht den regulären Moralvorstellungen. Oftmals wurden sie zur Schande öffentlich zur Schau gestellt und mit sozialer Isolation bestraft. Die Vorstellung, dass“ Meer- und Luftwesen“ nicht beseelt seien, jedoch durch die bedingungslose Liebe eines Menschen eine unsterbliche Seele erlangen können, bringt der kleinen Meerjungfrau nicht die erhoffte Erfüllung. Sie hat ihre Heimat, Familie und Freunde verlassen, allerdings der geliebte Königssohn, den sie unter Einsatz ihres eigenen Leben rettet, als sein Schiff in einen Sturm gerät, erkennt sie auf Grund ihres Sprachverlustes nicht wieder. Durch das dramatische Ende der Seeprinzessin; ihr altruistisches Opfer der Wesensauflösung in Meerschaum, werden Schriftsteller*innen, Künstler*innen und Mediengestalter*innen animiert, zeitgemäße Adaptionen vorzunehmen, die den Überlieferungswerten für Kinder entsprechen - inspiriert von dem tiefgründigen Märchen des dänischen Dichters.

Verführerin-Meereshexe

In dem Disney-Klassiker „Arielle, die Meerjungfrau“ der mit zwei Oscars preisgekrönt wurde, gelingt es der jüngsten Tochter des Meereskönigs zusammen mit dem Doktorfisch und ihren anderen Freunden, Träume zu verwirklichen. Ein Unterwassermärchen mit heiter singenden Meeresbewohnern, die phantasievoll helfen, Täuschungen der Meereshexe zu enttarnen. Dadurch erlangen die verwandelten Meeresbewohner ihre wahre Gestalt zurück. Die Seeprinzessin findet aus dem Labyrinth der widersprüchlichen Gefühle mit einem Ariadne-Fadens den Weg zur geöffneten Pforte, in die andere Dimension. In der darstellenden Kunst wurde das Märchentheater „Die kleine Seejungfrau“ vom Galli-Theater im Kindermagazin „Himbeer“ empfohlen. Die profunde theaterpädagogische Methode des „spontanen Spiels“seines Begründers Johannes Galli, zeigt sich auch beim fliegenden Rollenwechsel der Akteure. Das Galli-Theater (berlin@galli.de) sowie die Kindertheaterschule im Kunstszenequartier Mitte sind integrale Bestandteile der Berliner Kulturlandschaft.

Torsten Hammerschmidt Torsten
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