Zeugnissprache - Risiken und Nebenwirkungen

Verfasst von: Gisbert Kühner
" Während ihrer Anwesenheit trug sie/er zur Verbesserung des Betriebsklimas bei. Sie/er zeigte viel Verständnis für die Arbeit und mit der gezeigten Leistung waren wir zufrieden." Würden sie diesen Bewerber einstellen? Klingt doch positiv oder besser: wohlwollend. Im Klartext heißt das: " Wenn sie/er mal da war, war sie/er alkoholisiert. Sie/er war eine absolute Niete und die Leistung war ausreichend.

Warum reden die Arbeitgeber keinen Klartext? Weil sie es nicht dürfen. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Formulierungen in Arbeitszeugnissen wohlwollend zu sein haben. Hintergrund ist, dass der Inhalt der Arbeitszeugnisse so formuliert sein muss, dass der Bewerber überhaupt noch eine Chance für eine neue Anstellung hat. Nun gibt es aber Situationen, in denen der bisherige Arbeitgeber in seiner Bewertung schon zum Ausdruck bringen will, dass sein ehemaliger Mitarbeiter nicht uneingeschränkt zu empfehlen ist. Nehmen wir an, ein Kassenmitarbeiter hat Geld unterschlagen Es ist nachvollziehbar, dass der Arbeitgeber kein sehr gutes Zeugnis ausstellen wird. Darf er gar nicht, weil er sonst womöglich schadensersatzpflichtig wird. Er muss negatives positiv bzw. wohlwollend formulieren.

Und genau deshalb ist die Zeugnissprache entstanden. Eindeutig abwertende Sachverhalte, die dazu geeignet sind, dass der Arbeitnehmer im Bewerbungsverfahren scheitert, werden wohlwollend formuliert. Sie/er hat sich stets bemüht unseren Anforderungen gerecht zu werden, statt war zu nichts zu gebrauchen, z.B. Aber es gibt auch noch andere Möglichkeiten: Das qualifizierte Arbeitszeugnis setzt sich aus einer Reihe von Bausteinen zusammen. Negatives kann der Ersteller des Zeugnisses dadurch ausdrücken, dass er einen üblichen Baustein weglässt. Bei einer Führungskraft ist in einem guten Arbeitszeugnis die Bewertung der Führung unabdingbar. Fehlt das, erübrigt sich eine neuerliche Bewerbung als Führungskraft. Ob bewusst oder unbewusst, der Zeugnissschreiber bescheinigt dem Zeugnisempfänger, dass er als Führungskraft nicht geeignet ist.

Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Wenn es sonst nichts Besonderes gibt, wie wäre es denn damit, Selbstverständliches zu betonen. "Besonders ihre/seine Ehrlichkeit und Pünktlichkeit sind hervorzuheben." In der Mathematik ergibt doppeltes Minus ein Plus. In der Zeugnissprache gilt genau das Gegenteil. Doppelte Verneinung oder doppeltes Minus verstärkt die hinter der Formulierung steckende negative Einschätzung. Der Hinweis auf einen nicht unerheblichen Erfolg ist nicht zu beanstanden. Vorsicht ist geboten. Und nun zur Königsdisziplin: die Reihenfolge. Für den Aufbau des Zeugnisses gibt es eine gängige Reihenfolge. Angaben zur Person, das Unternehmen, die Aufgaben und dann die Bewertung der Fachkenntnisse und des Verhaltens. Zum Schluss der Grund des Ausscheidens und die Dankesformel.

Meist unterbewertet in Arbeitszeugnissen ist der Schlussabschnitt. Er sollte den Grund des Ausscheidens aus dem Unternehmen und die Dankesformel enthalten. Für den Beurteilten am günstigsten ist, wenn er das Unternehmen auf eigenen Wunsch verlassen hat. In gegenseitigem Einvernehmen heißt im Regelfall, dass der Arbeitgeber gekündigt hat. Eine betriebsbedingte Kündigung ist im Normalfall neutral und bringt den Gekündigten meist nicht in einen Erklärungsnotstand. Fehlt der Dank für die Mitarbeit, entsteht sehr schnell der Verdacht, dass das Unternehmen froh ist, den ehemaligen Mitarbeiter endlich los zu sein. Ganz schlimm wird es , wenn das Unternehmen dem ehemaligen Mitarbeiter für die Zukunft alles Gute und Erfolg wünscht. Zum Schluss noch 2 wichtige Anmerkungen:

Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch dem Arbeitgeber gegenüber auf Ausstellung eines Arbeitszeugnisses. Es ist sein Wahlrecht, ob er ein einfaches oder qualifiziertes, d.h. auf die Bewertung der Leistung und des Verhaltens ausgedehntes Zeugnis will. Er hat auch einen Anspruch darauf, dass der Inhalt des Zeugnisses objektiv korrekt ist. Das bezieht sich auf die Angaben zur Person, die Aufgaben aber auch auf Orthographie und Grammatik. Die Bewertung der Leistung und des Verhaltens ist subjektiv durch den Beurteiler geprägt. Im Zweifelsfall wird der Beurteiler auf seiner Benotung beharren, auch wenn es der Beurteilte anders einschätzt. Er hat keinen Rechtsanspruch auf eine Korrektur.

Jeder, der ein Zeugnis liest, wird den Inhalt nach seinem Verständnis interpretieren. Die Frage ist, ob es der Verfasser des Zeugnisses auch so gemeint hat. Die Frage ist auch, wie firm der Verfasser des Zeugnisses in der Formulierung von Arbeitszeugnissen ist. Kennt er die Zeugnissprache und ist geübt? Oder beurteilt er so, wie er es für richtig erachtet und erzeugt ungewollt unüberwindbare Klippen für den alten Mitarbeiter. Wie firm ist der Beurteilte? Versteht er, was die Beurteilung bedeutet? Ich habe in der Praxis schon einige Zeugnisse gesehen, mit denen bzw. mit deren Inhalt eine erfolgreiche Arbeitsplatzsuche ausgeschlossen war.

Torsten Hammerschmidt Torsten
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